Wie muss sich eine Partei im 21. Jahrhundert strukturell ändern?

Quelle: DL21

Am 29. Juni war ich bei der DL21 zu einer Podiumsdiskussion zur Zukunft der Parteien eingeladen. Hier meine verschriftlichten Notizen.

Die jungen Menschen sind heute politischer denn je, das zeigen uns alle Studien. Sie wollen sich politisch engagieren und einmischen. Aber sie finden den Weg nicht in die Parteien und schon gar nicht in die Volksparteien. Das sollte uns zu denken geben. Vor etwa einem Jahr sind viele junge Menschen bei mir in den Ortsverein gekommen. Sie kommen regelmäßig zu Sitzungen und arbeiten in Projekten mit. Vor einigen Wochen habe ich diese Leute gefragt ob sie das Gefühl haben mit ihrer Mitgliedschaft und ihrem Engagement einen Unterschied gemacht zu haben. Alle haben dies verneint. Das ist ein schlimmer Befund für die SPD und die Demokratie. Diese Menschen haben alles gemacht was man so sagt was man machen soll – sie sind Mitglied einer Partei geworden und kommen regelmäßig zu Sitzungen. Trotz alledem fühlen sie sich nicht gehört oder wahrgenommen.

Der Wunsch nach Partizipation war immer da und ist es auch heute noch. Nur der Begriff der Partizipation hat sich in den zurückliegenden Jahrzehnten immer wieder gewandelt. Wir müssen hier zwischen drei Phasen unterscheiden:

  1. Die Phase der Volksparteien

In den 60-70er Jahren sind die Menschen oft, geprägt durch ihr Milieu, in Parteien gegangen. Diese Parteien haben die Menschen geschult und sie verändert. Man ging als Individuum in eine Partei und kam als Genosse wieder heraus. Die Partizipation vollzog sich in der Gruppe. Man formte eine Schicksalsgemeinschaft.

  1. Phase der Individualität

In den 80-90er Jahren wiederum folgte die Phase der Individualität.  Die Menschen haben sich einen wichtigen Aspekt ihrer Identität herausgenommen wie z.B. das Geschlecht oder die Sexualität und haben für die Anerkennung und die Rechte dieser gekämpft. Die Parteien formten viel weniger die Mitglieder, sondern sollten die Menschen vor allem in ihrer Identität anerkennen. Es ist kein Zufall, dass in diese Phase eine lange rot-grüne Regierung fällt und es der große Aufschwung der NGOs darstellt die dieses Bedürfnis viel besser bedienen konnten als Parteien, vor allem als die Volksparteien.

  1. Phase des Temporären

Heute leben wir in der Phase des Temporären. Die wichtigste Währung die Parteien bedienen müssen ist das wahrgenommen werden. Dies kann in zwei unterschiedlichen Richtungen erfolgen. Einmal wollen die Menschen in Parteien heute wirklich mitentscheiden. Bei Jeremy Corbyn und Labour haben wir gesehen wie viele Menschen in die Partei geströmt sind als die innerparteiliche Partizipation ausgebaut wurde. Auf der anderen Seite sehen wir aber bei Sebastian Kurz und der ÖVP oder bei Emmanuel Macron, dass das Bedürfnis einfach nur noch „Fan“ sein zu dürfen anscheinend parallel auch größer wird. Wir wollen Menschen zu denen wir hochschauen und denen wir die Politik anvertrauen können. Gemein ist beiden Wegen, dass die Menschen wahrgenommen werden wollen. Sie wollen Teilhabe an der Politik erfahren.

Die SPD steht jetzt vor vier Wegen die sie gehen kann:

  1. Der Weg der Parti Socialiste

Der erste Weg ist der Weg der Parti Socialiste und den die aktuelle SPD Parteiführung scheinbar einschlagen will: abwarten, Tee trinken und hoffen, dass schon alles so weiter geht wie bislang. Wir verändern nichts an den Strukturen und gehen nicht auf die neuen Bedürfnisse der Menschen ein. Es gibt derzeit keinen Grund warum es der SPD dabei besser ergehen soll wie der Parti Socialiste die quasi nicht mehr existent ist und keine politische Relevanz mehr besitzt.

  1. Der Emmanuel Macron Weg

Emmanuel Macron hat aus der Parti Socialiste heraus eine neue Bewegung gegründet und wurde aus dem Stand Präsident in Frankreich. Diese neue Bewegung zeichnet sich durch zwei Merkmale aus: erstens ist die Bewegung sehr hierarchisch aufgebaut und bietet keine wirklichen Partizipationsmöglichkeiten. Die Bewegung besteht aus Emmanuel Macron und Fans von Emmanuel Macron. Zweitens ist sie unpolitisch und setzt vor allem auf Expertentum.

  1. Der Sebastatian Kurz Weg

Sebastian Kurz hat aus der verstaubten ÖVP einen Zwitter aus Partei und Bewegung geschaffen. Ähnlich wie bei Emmanuel Macron ist hier Partizipation der Parteimitglieder nicht vorgesehen. Die politische Linie wird klar von oben vorgegeben. Anders als die Bewegung von Macron ist die von Kurz allerdings sehr klar politisch verordnet.

  1. Der Jeremy Corbyn Weg

Jeremy Corbyn wiederum hat aus der Labour Party eine Mischung aus Partei und Bewegung geschaffen. Es gibt eine sehr klare politische Ausrichtung mit der man im Notfall auch aneckt. Man gibt den Menschen die Möglichkeit sich als „Fan“ dieser Bewegung anzuschließen oder man bekommt die Möglichkeit einer sehr weitreichenden Mitbestimmung.

Jeremy Corbyn zeigt damit meiner Meinung nach den Weg für die SPD auf. In ganz Europa ist das Parteisystem in Bewegung und es gibt überhaupt keinen Grund warum diese Bewegung nicht auch Deutschland erreichen sollte. Es gibt gute Gründe warum das bei uns etwas später als in anderen Ländern ankommt aber keine, dass es nicht bei uns ankommt. Diese Zeit sollten wir nutzen um die SPD disruptiv nach Vorbild von Labour umzubauen. Jetzt haben wir noch die Zeit dazu.

Am Ende möchte ich der SPD noch zehn konkrete Änderungsvorschläge mit auf den Weg geben:

  1. Alle Macht den Mitgliedern
  2. Zwischenstufe von Mitgliedschaft und Nicht-Mitgliedschaft einführen
  3. Öffnung der Strukturen
  4. Strukturen entschlacken und vereinfachen
  5. Think Tank für neue politische Ideen werden
  6. Parteitag reformieren
  7. Online-Mitarbeit deutlich ausbauen
  8. Zwingenden Rotation bei Ämtern
  9. Finanzielle Hilfen für (vor allem junge) Kandierende bei ihren Wahlkämpfen
  10. Kultur des Scheiterns innerparteilich etablieren

2 Comments

  1. Klaus Adler

    Yanning,ich stimme Dir voll zu,
    die SPD darf weiterhin nicht für eine Minderheit von Funktionäre und Mandatsträger als Versorgungswerk betrachtet werden (..)

  2. Steve Hudson

    Stimme Dir völlig zu, Yannick, ABER… wir müssen uns an den Gedanken gewöhnen, dass Verbesserung nicht etwas ist, das von ‚die da oben‘ gemacht wird. Sie wird von uns gemacht.
    Insofern, hast du in einem Punkt unrecht. Es war nicht Jeremy Corbyn, der „aus der Labour Party eine Mischung aus Partei und Bewegung geschaffen“ hat. Nein – es waren die Mitglieder. Corbyn ist nur der Garant, dass die von uns befürwortete Politik auch im Amt umgesetzt wird. Wir – die Basis – nutzen ihn um unsere politische Ziele durchzusetzen – nicht andersherum.
    Insofern, finde ich deinen Beitrag gut, aber mir fehlt das Wichtigste dabei überhaupt: wie setzen wir das um? Warten wir nur bis die Parteispitze das für uns macht? Sorry – aber das werden sie nicht tun. Sie sitzen herum und trinken Tee wie die PS nicht aus Dummheit oder Faulheit, sondern weil sie sehr gut begriffen haben, dass ein radikaler Kurswechsel zwangsläufig ein radikaler Personalwechsel bedeuten muss. Wenn’s um eine Wahl zwischen der eigenen Karriere und dem Wohl der Partei, entscheiden sie sich natürlich fürs erste.
    Die Weichenstellung für die Wende bei Labour kam fast zufällig – denn es waren die Parteirechten (!) die die Urwahl für den Vorsitz einführten. Mit Blick auf Labour werden unsere Parteirechten dies selbstverständlich nicht tun, egal wie gut es der Partei käme.
    Deine Lösungsansätze sind sehr gut – aber bei weitem nicht genug. Wir müssen jetzt unter uns in den bestehenden und zT zutiefst undemokratischen Strukturen der SPD organisieren, um diese Lösungen durchzusetzen.
    Eine ernsthafte strategische Besprechung hierzu steht noch aus. Diese müssen wir schnellstmöglich beginnen.

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