Dieser Artikel ist im Handelsblatt erschienen.
Unsere Gesellschaft, so behaupten wir gerne, ist auf Leistung aufgebaut. Der Bildungserfolg, das berufliche Fortkommen und die soziale Stellung, all das soll auf der eigenen Leistung beruhen. Doch in den zurückliegenden Jahren ist das Versprechen einer Leistungsgesellschaft zusammengebrochen.
Schaut man nüchtern auf die Zahlen, dann ist das zentrale Merkmal für wirtschaftlichen Erfolg nicht die eigene Anstrengung, sondern die eigene Herkunft. Zum ersten Mal in der Geschichte der Bundesrepublik sind mehr als die Hälfte der Vermögen vererbt.
Wer in meiner Generation heute Immobilien erwerben will, wer Vermögen aufbauen will, der muss erben. Leistung spielt kaum mehr eine Rolle. Herkunft zählt, nur ist nicht beeinflussbar und meist ungleich verteilt.
Die Erbengesellschaft hat die Leistungsgesellschaft verdrängt
Die jährlich vererbten Summen nehmen ständig zu. Das Deutsche Institut für Wirtschaftsforschung (DIW) schätzt, dass in Deutschland aktuell 300 bis 400 Milliarden Euro vererbt und verschenkt werden. Tendenz steigend.
Laut der Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (OECD) sind wir mit Ungarn und Frankreich auf dem letzten Platz in der EU, was soziale Mobilität angeht. Wir leben längst in einer Erbengesellschaft, tun aber so, als ob wir noch in einer Leistungsgesellschaft leben würden. Darüber reden möchte aber niemand.
Ich habe selbst geerbt. Keine Millionen, aber ausreichend, um mir zwei Wohnung kaufen zu können. Auch mit meinem „kleineren“ Erbe spüre ich im Leben bereits einen großen Unterschied. Ein Erbe gibt finanzielle Sicherheit. Es spannt ein Sicherheitsnetz.
Ich habe ein Vermögen als Sicherheit im Rücken, ein Vermögen, das ich mir heute nicht mehr hätte erarbeiten können. Mit einer eigenen Leistung hat auch mein Vermögensaufbau herzlich wenig zu tun.
Das Land hat sich von der sozialen Marktwirtschaft verabschiedet
Erben ist heute zum zentralen Faktor für wirtschaftlichen Erfolg geworden. Und dann haben wir noch ein Steuersystem, das absurderweise gerade die höchsten Erbschaften am wenigsten besteuert. Wer heute drei Wohnungen erbt, zahlt Erbschaftsteuer, wer 300 Wohnungen erbt, zahlt keine Erbschaftsteuer. Mit Leistung hat das dann alles nur noch wenig zu tun.
Diese Zahlen zeigen, dass wir eine gesellschaftliche Schieflage erreicht haben, in der wir in das System Erbschaft eingreifen müssen. Wir haben uns von der sozialen Marktwirtschaft und vom Aufstiegsversprechen verabschiedet. Es ist unerklärlich, warum wir nicht bereits längst in der Erbensystem eingegriffen haben.
Dabei gäbe es Ideen wie man das Erben reformieren kann. Ein Grunderbe würde das Erben nicht abschaffen, sondern es ausweiten. Die Idee ist einfach: Jeder bekommt im Alter von 21 Jahren ein Erbe vom Staat. Das DIW empfiehlt ein Grunderbe in Höhe von 20.000 Euro. Dieses Geld darf man für Ausgaben in Ausbildung, Wohneigentum oder die Gründung eines Unternehmens verwenden. Die Maßnahme würde jährlich 15 Milliarden Euro kosten und könnte durch eine Erbschaftsteuer für sehr hohe Erbschaften finanziert werden.
Deutschland könnte in Sachen Erben internationaler Vorreiter werden
Mit dieser Maßnahme würde Deutschland international Vorreiter werden. Schweden oder Dänemark geben derzeit allen Studierenden monatlich Geld. Einen solch umfassenden Schritt wie das Grunderbe hat aber bislang noch kein Land gewagt. Junge Leute erhalten in einer für sie entscheidenden Phase des Lebens finanzielle Möglichkeiten: Sie können Praktika absolvieren, eine Ausbildung oder ein Studium starten oder das Geld einfach investieren. Das Grunderbe ist eine Maßnahme, die das Erben nicht abschafft, sondern allen die Chancen des Erbens geben will.
Das Erbe ist heute nicht nur sehr ungleich verteilt, sondern hat auch seinen eigentlichen Zweck verloren. Da wir immer länger leben, erben wir in aller Regel immer später. Im Durchschnitt heute mit Mitte 50. Da sind die grundlegenden Entscheidungen im Leben meist getroffen.
Deswegen brauchen wir ein neues Instrument, das zielgenau die junge Generation in einer entscheidenden Lebensphase unterstützt. Ein Instrument, das nicht nur Wenigen zukommt, sondern allen. Das Grunderbe soll die Menschen befähigen ihre, auch wirtschaftlichen, Ideen umzusetzen.
Das DIW kalkuliert, dass ein solcher Schritt die Vermögensungleichheit deutlich stärker abbaut als die viel diskutierte Vermögensteuer. Das Grunderbe kann die Vermögen der unteren Hälfte der Bevölkerung um 60 bis 90 Prozent steigen lassen. Und: Mit dieser Verschiebung kämen wir auch der gesellschaftlichen Idee der Eigenverantwortung wieder näher.