Twitter war immer mein digitales Zuhause. Mit dem morgendlichen Kaffee habe ich meist zuerst auf Twitter nachgesehen, was in der Nacht passiert ist. Ich habe dort viele Diskussionen geführt, spannende Menschen kennengelernt und mich politisiert. Ohne dieses Netzwerk wäre mein Leben wahrscheinlich anders verlaufen. Die Anfänge von Twitter waren voller Magie. Es war ein Raum des wohlwollenden Zuhörens und Sendens. Twitter war das, was man sich vom Rest des Internets wünschte. Es war die Möglichkeit, am Leben anderer teilzuhaben, die Möglichkeit, spannende Einblicke zu gewinnen und in digitalen Diskussionen etwas dazu zu lernen.
Mit zunehmendem Erfolg wurde das Netzwerk schon vor der Ära Elon Musk ungemütlicher. Es wurde professioneller mit immer mehr Politikern und Journalisten auf der einen Seite, aber auch aggressiver auf der anderen Seite. Auch ich durfte den einen oder anderen Shitstorm über mich ergehen lassen. Aber Twitter ist mein digitales Zuhause geblieben. Es war bis zuletzt die Möglichkeit, schnell an wichtige Informationen zu kommen. Während der Pandemie war kein anderes Netzwerk schneller mit aktuellen Infektionszahlen und Erkenntnissen zur Impfung. Als Russland die Ukraine überfiel, war Twitter für mich unverzichtbar für Informationen vor Ort.
Doch heute ist Twitter (oder X, wie es jetzt heißt) für mich tot. Mit der Übernahme durch Elon Musk ist das Netzwerk zu einem Machtinstrument der extremen Rechten geworden. Als der reichste Mensch der Welt das Netzwerk erwarb, spotteten viele über diesen Kauf. Twitter hatte in der Geschichte des Unternehmens noch nie Gewinn gemacht. Ein Kaufpreis von 44 Milliarden Euro schien da wie eine sehr schlechte Investition. Doch Elon Musk ging es hier nie um das Geld. Der Kauf diente einzig und allein der Machterweiterung. Der reichste Mensch der Welt besitzt jetzt eines der wichtigsten politischen Diskussionsräume und kann dort die Regeln bestimmen. Und er nutzt die Macht des Netzwerks. Heute werden extreme Meinungen auf Twitter von Algorithmen bevorzugt ausgespielt. Elon Musk selbst hat zuletzt einfach seine Reichweite erhöht. Hass und Hetze sind heute legitime Meinungen auf der Plattform.
Nun sagen viele, dass man die Plattform nicht sich selbst überlassen dürfe. Es sei wichtig, ein Gegengewicht zu den rechten Accounts zu bilden. Diese Argumentation halte ich für naiv. Sie verkennt völlig, wie Algorithmen in sozialen Netzwerken funktionieren. Alle Inhalte, die wir innerhalb der Plattformen sehen, werden von Algorithmen kuratiert. Bei Facebook, Instagram und auch TikTok geht es vor allem darum, uns so lange wie möglich auf den Plattformen zu halten. Je mehr Zeit wir auf den Seiten verbringen, desto mehr Werbung kann uns ausgespielt werden. Diese Logik hat in den letzten Jahren zu einer zunehmenden Verrohung der digitalen Räume geführt. Zugespitzte Meinungen waren den Algorithmen willkommen und Interaktion wurde zur neuen Währung im digitalen Zeitalter. Leise, nachdenkliche Töne haben im digitalen Kapitalismus keinen Platz mehr. Dies ist letztlich das Ergebnis eines politischen Raumes, dessen Interesse allein der Share Holder Value ist.
Aber Twitter hat mit Elon Musk eine neue Form angenommen. Der Share Holder Value spielt hier keine Rolle mehr. Es geht nur noch darum, die politische Macht einer Person auszubauen und seine politische Agenda zu stärken. Es geht nicht mehr darum, möglichst schnell möglichst viel Geld zu verdienen, sondern darum, möglichst schnell möglichst viele Menschen von der extremen Rechten zu überzeugen.
Dagegen wie eine moderne Jeanne d’Arc mit einzelnen Tweets vorzugehen, wird nicht funktionieren. Algorithmen funktionieren wie Glücksspiel. Am Ende gewinnt immer das Kasino, oder in dem Fall Elon Musk. Ich glaube eher, dass jeder einzelne Nutzer der Plattform das Vorgehen von Elon Musk legitimiert. Ich gehe auch nicht zu Naziversammlungen in der Hoffnung, dass mir dort jemand zuhört. Meine Anwesenheit würde eine Versammlung legitimieren. Statt Twitter weiter Geld verdienen zu lassen, können wir die Macht von Elon Musk nur durch einen Exodus brechen. Erst wenn er sich dort nur noch mit Bots und seinen rechten Freunden unterhalten kann, ist das Netzwerk wertlos. Dann hat es jede politische Macht verloren und daran müssen wir jetzt arbeiten. Wir müssen Alternativen aufbauen, wo die Macht eben nicht gebündelt ist. Wir müssen weiter an einer europäischen Regulierung arbeiten, die das Gebaren von Elon Musk in die Schranken weist.
Es ist an der Zeit, Twitter endlich zu verlassen.