(Dieser Text ist Teil einiger kleiner, unredigierter Texte zu meinen Erfahrungen in der Corona-Krise. Tippfehler bitte ich zu entschuldigen)
In diesen Tagen muss ich oft an die HIV-Krise in den 80er Jahren denken. Qua Geburt habe ich diese nicht miterlebt. Als ich das erste Mal von HIV gehört habe starb man bereits nicht mehr am Virus. Doch als das Virus neu auftauchte war es ein sicheres Todesurteil. Das Virus hat sich in den ersten Jahren durch die Community der Homosexuellen „hindurchgefressen“. Es gibt kaum homosexuelle Männer, die nicht Freunde und Bekannte an das Virus verloren haben. Für mich ist es kaum vorstellbar wie es sich damals angefühlt haben muss. Ein Leben mit einer ständigen Todesangst.
Doch anders als heute hat die Gesellschaft anfangs kaum gegen das Virus gekämpft, im Gegenteil. Es kam vor allem zu Ignoranz und Stigmatisierung. Die Politik hat mehr als zögerlich reagiert. Es wurden kaum Gelder in die Forschung gesteckt. Die Betroffenen wurden nicht von der Gesellschaft unterstützt, sondern abgestoßen. Eine Ansteckung bedeute den sicheren Tod und die Gesellschaft hatte nichts Besseres zu tun als die Menschen zu verstoßen. Einen schlimmeren Umgang mit einer Viruserkrankung kann man sich kaum vorstellen.
Beim Coronavirus ist es anders. Auf einmal sind Milliarden da für die Forschung. Das öffentliche Leben wird stillgelegt. Das Coronavirus betrifft nicht eine so genannte Randgruppe, sondern die Mehrheitsgesellschaft. Es betrifft Menschen die viel Reisen wahrscheinlich noch stärker. Wir zeigen in dieser Krise richtigerweise, wie schützenswert uns Leben ist. Wir zeigen was Solidarität heißt. Es ist schön zu sehen, dass ein anderer Umgang mit Viruserkrankungen möglich ist.
Doch wie würden wir reagieren, wenn dieses Virus nicht die Mehrheitsgesellschaft betreffen würde? Wenn ich an die 80er Jahre zurückdenke frage ich mich ob wir heute bei einer ähnlichen Situation dazugelernt hätten. Ich wünschte ich könnte diese Frage mit einem klaren Ja beantworten. Aber ich bin mir verdammt unsicher. Als im Januar das Virus in China ausbrach haben die Nachrichten mich zwar berührt aber irgendwie auch nicht. China ist weit weg habe ich mir eingeredet. Dass es die Globalisierung gibt, dass es Flugzeuge gibt habe ich dabei verdrängt. Ein Nachrichtensender hat Bilder gezeigt von einem Mann der leblos auf der Straße lag und niemand wollte ihn aus Angst anfassen. Schreckliche Bilder die man im 21. Jahrhundert eigentlich nicht mehr sehen will. Und doch wirkten sie auf mich wie eine fremde Welt. Wie etwas das mit meinem Leben keine Verbindung hat. Rückblickend frage ich mich wie ich so denken konnte?
Stellen wir uns mal theoretisch vor ein Virus würde erst einmal vor allem Geflüchtete betreffen. Hätten wir auch da die Kraft das öffentliche Leben still zu legen. Ich hoffe es. Aber leider kann ich es nicht sicher sagen.