Dieser Beitrag ist im Politischen Feuilleton vom DLF Kultur erschienen.
Die Jüngeren werden den Klimawandel mehr zu spüren bekommen. Die Älteren sind stärker vom Coronavirus bedroht. Millennials wie er müssen Solidarität zeigen, meint der Publizist Yannick Haan – und fordert mehr kollektive Lösungen statt Individualismus.
Diese Krise ist unsere erste Krise. Zum ersten Mal spüre ich, wie Nachrichtengeschen mein eigenes Leben fundamental verändert. Ich kann mich noch an den 11. September in New York erinnern. Wie ich vom Sporttraining nach Hause kam und die Türme bereits brannten. Aber die einfallenden Türme haben mein Leben nicht unmittelbar verändert. Es kam die Finanzkrise. So dramatisch sie auch war, sie hatte für mich keine spürbaren Folgen. Mein Leben und das vom Finanzkapitalmarkt sind in Gänze entkoppelt.
Oft heißt es, wir Millenials wären mit Krisen aufgewachsen. Das stimmt nicht. Wir sind in einer beispiellosen Behaglichkeit aufgewachsen. Das hier ist unsere erste Krise. Es ist aber eine, die uns gleich ins Mark trifft.
Das Sich-frei-Bewegen war für uns identitätsstiftend. Wir haben jetzt nicht nur unsere Reisefreiheit verloren, sondern dürfen gleich unsere Wohnung nicht mehr verlassen.
Solidarität statt Selbstmitleid
Doch diese Krise lässt sich nicht mit Selbstmitleid bewältigen. Jetzt kommt es auf unsere Solidarität an. Beim Klimaschutz fordern wir doch auch Solidarität von den Älteren, die vom Klimawandel weniger betroffen seien werden als wir. Nun sind auch wir in der Schuld, unseren Teil zu liefern. Denn nun muss aus der „Generation der Reizüberflutung“ die „reizlose Generation“ werden. Und wir können das.
Es liegt in unserer Hand, ob wir das Konzept des „mündigen Bürgers“ weiterverfolgen oder ins Autoritäre abdriften, weil einige nicht damit aufhören, sich rücksichtslos zu verhalten. An uns Millennials liegt es nun, ob wir den südkoreanischen oder den chinesischen Weg gehen. Die Bundeskanzlerin sagte den schönen Satz „In diesen Zeiten ist nur Abstand ein Zeichen für Fürsorge“. Diesen Satz sollten wir uns alle tätowieren lassen. Er ist das Sinnbild des aufgeklärten Weges. Und diesen Weg sollten wir unterstützen.
Warum verdiene ich mehr als eine Krankenschwester?
Wir stehen aber noch vor einer zweiten Aufgabe. Diese Krise hat gezeigt, dass unsere Hyperindividualisierung nicht zukunftsfähig ist. Mein Job, so wichtig ich ihn finde, ist sicherlich nicht systemrelevant. Während ich gemütlich im Homeoffice sitze, wissen andere, die überlebenswichtige Arbeit machen, kaum, wie sie ihre Miete zahlen sollen. Dabei kann mir niemand erklären, warum ich mehr als eine Krankenschwester verdiene.
Vielleicht sollte es in Zukunft bei der Entlohnung viel mehr darum gehen, wer etwas für diese Gesellschaft leistet. Diese Krise zeigt uns, dass wir wieder kollektive Lösungen brauchen. Ich bin aktuell einfach nur dankbar dafür, in einem Land mit einer solidarischen Krankenversicherung zu leben, mit einem öffentlich-rechtlichen Rundfunk und einem Parteiensystem, das in der Krise zusammenarbeitet. Vielleicht sind die kollektiven Antworten doch gar nicht so schlecht.
Coronakrise zeigt Ungleichheit
Diese kollektiven Antworten, die wir benötigen, dürfen auch gerne den Spirit des 21. Jahrhunderts haben. Lasst uns doch mal beispielsweise darüber nachdenken wie diese aufkommende Wirtschaftskrise mit Grundeinkommen lösbar ist? Diese Krise hat gezeigt, dass die Elite dieser Gesellschaft eigentlich unten sitzt. Sie hat einen Scheinwerfer auf den grundlegenden Charakter der Ungleichheit gelegt. Gerade in unserer individualisierten Generation.
In den letzten Tagen ging es mir ehrlich gesagt nicht gut. Das mag egozentrisch klingen, wenn man sieht, was alles um einen herum passiert. Aber ich vermisse das Zwangslose, ich vermisse Menschen. Doch ich habe diese Krise mittlerweile als eine Art „Sabbatical für die Gesellschaft“ angenommen. Ein Sabbatical bietet auch immer auch die Möglichkeit nachzudenken, das eigene Handeln zu reflektieren. Vielleicht lernen wir aus unserer ersten Krise. Und vielleicht sitzt ja dann bald die Elite nicht mehr unten.