Dieser Text ist in gekürzter Fassung in der taz erschienen.
In meiner Generation gibt es ein letztes Tabu. Während ich mit Freunden beim Kaffee ohne Probleme über den nächsten Besuch beim Psychologen reden kann, über Geschlechtskrankheiten, die sich jemand zugezogen hat, schweigen wir uns über das Erben aus. Dabei gibt es wenig das meine Altersgruppe, die so genannte Generation Y, in den nächsten Jahren so stark prägen und zerreißen wird wie das Erben.
Vor einigen Jahren ist meine Mutter verstorben und hat mir eine Erbschaft hinterlassen. Heute wohne ich, aus er Erbschaft bezahlt, in einer Eigentumswohnung und vermiete zusätzlich noch eine kleine Wohnung. Obwohl meine Familie sicherlich nicht als reich bezeichnet werden kann habe ich durch meine Erbschaft jetzt schon mehr Vermögen aufgebaut als ich es durch eine lebenslange Erwerbsarbeit je tun könnte. Dabei ist mein Fall kein Besonderer, sondern spielt sich jeden Tag in Deutschland tausendfach ab. Wenn man sich die derzeitige Einkommensverteilung nach Alter in Deutschland anschaut dann rollt bald die größte Erbschaftswelle in der Geschichte der Bundesrepublik geräuschlos auf uns zu und wird unsere Gesellschaft grundlegend verändern.
In der Schule war ich nie ein besonders guter Schüler. Ich habe mich mehr schlecht als recht durch das Abitur geschleppt. Ohne die unermüdliche Hilfe meiner Eltern, die meine wechselnden Stimmungen still erduldet haben, hätte ich das Abitur mit ziemlich großer Sicherheit nicht geschafft. Mein Leben, so viel kann man prognostizieren, wäre anders verlaufen. Ich bin also schon privilegiert aufgewachsen. Ich hatte in der Schule bereits große Startvorteile. Mein Erbe gibt mir in einer beruflich, sicherlich entscheidenden Phase im Leben noch einen zusätzlichen Vorteil. Es ist als ob ich bei einem 100 Meter Lauf legal dopen kann und dann auch noch 20m Vorsprung am Start bekomme. Man muss schon richtig hinfallen um nicht als erster durchs Ziel zu laufen. Umgekehrt haben andere in dem Rennen nie eine Chance als Erste über die Ziellinie zu laufen.
Das Erben ist etwas das wir in der Gesellschaft oft teilnahmslos und unhinterfragt hinnehmen. Doch in den nächsten Jahren werden die Vermögen, die weitergereicht werden, immer größer. Zugleich nimmt die soziale Mobilität in der Gesellschaft rapide ab. Da ist es an der Zeit zu fragen ob erben überhaupt noch legitim ist. Wenn ich meine Generation anschaue dann bekomme ich immer größere Zweifel ob das in der Verfassung festgeschriebene Sozialstaatsprinzip und das Erben noch zusammen gehen. Ich sehe auf der einen Seite die Erben, oft Menschen die große Summen und Firmenanteile von ihren Eltern bekommen und unter der Last der Vergangenheit zerbrechen. Und auf der anderen Seite steht der Großteil der Gesellschaft, der sich anstrengt aber kaum mehr Vermögen aufbauen kann. Der Weg nach oben ist versperrt. Am Ende sind alle unglücklich mit der aktuellen Lage. Am Ende entwickeln wir uns zu einer Gesellschaft der Besitzstandswahrer, eine Gesellschaft, die sich an das Gestrige klammert. In meiner Generation ist die eigene soziale Lage nicht mehr durch eigenes Handeln geprägt, sondern vor allem vom Glück oder Pech beim Geburtenbingo. Das Erben bricht meine Generation entzwei und unsere Gesellschaft ist derzeit in Gänze auf den Weg zurück in eine neue Vermögensaristokratie.
Deutschland ist dabei eines der ungleichsten Länder in Europa. In keinem anderen Land ist die Vermögensungleichheit so zementiert wie bei uns. Wir haben ein System geschaffen das öffentliche Armut fördert und den privaten Reichtum von Wenigen zementiert und immer weiter steigert. Das liegt zum größten Teil am Erben. In Deutschland kommt noch der besondere Fakt hinzu, dass Erben einer der Faktoren für die weitere wirtschaftliche Spaltung zwischen Ost- und Westdeutschland sein wird. Wenn wir etwas daran ändern wollen dann müssen wir endlich über das Erben reden. Wir müssen darüber reden ob Erben noch begründbar ist. Wir müssen darüber reden wie wir erben fair besteuern. Und Menschen, die erben müssen mit Menschen, die nichts erben aushandeln wie ein fairer Ausgleich aussehen könnte.
Ich verstehe zum Beispiel nicht warum ich auf mein reguläres Einkommen, für das ich arbeite Steuern und soziale Abgaben zahlen muss aber der Staat sich kaum für mein leistungsloses Erbe interessiert. Ich verstehe nicht warum nicht jedes Wochenende tausende Menschen auf der Straße sind, um gegen diese soziale Ungerechtigkeit zu protestieren. Ich verstehe nicht warum die linken Parteien nicht jede Woche eine aktuelle Stunde im Bundestag zum diesem Thema beantragen. Ich verstehe nicht warum eine Mehrheit in der Bevölkerung gegen eine Erbschaftssteuer ist und warum alle empört hochschrecken, wenn man nur mal das Thema andiskutieren will. Ich hätte gerne etwas von meinem Erbe abgegeben.
Nach meinem Studium wurde mir ein Job in einer hippen Agentur in Berlin Mitte angeboten. Der Arbeitsvertrag verlangte eine reguläre Arbeitszeit von 45 Wochenarbeitsstunden, unbezahlte Überstunden, ich durfte nicht schwanger sein und an keiner schlimmen Krankheit leiden. Gesetzeswidriger kann man einen Arbeitsvertrag kaum aufschreiben. Obwohl ich kein anderes Jobangebot hatte und mir Hartz4 drohte habe ich den Arbeitsvertrag dankend abgelehnt. Dies konnte ich aber nur tun mit der Sicherheit der eigenen Eltern im Hintergrund. Hätten wir zu Hause vom Existenzminimum gelebt ich hätte den Job mit Sicherheit angenommen.
Meine Generation ist eine Generation der Unsicherheit. In den letzten 10 Jahren hatte ich sechs unterschiedliche Arbeitgeber, habe mich oft von befristetem Vertrag zu befristetem Vertrag gehangelt. Doch ich hatte immer eine wichtige Sicherheit im Hintergrund. Ich möchte, dass alle meiner Generation die Sicherheit bekommen, die ich genießen durfte. Und dafür müssen wir endlich über das Erben reden.
Meine eigenen Erfahrungen und der Blick zu meinen Freunden, zu meinem Umfeld lässt mich immer grundsätzlicher an dem Thema Erben zweifeln. Warum hat man nach dem Tod überhaupt noch das Recht über Geld zu verfügen? Warum durfte nur ich von dem Geld meiner Mutter profitieren? Bevor ich selber geerbt habe war das immer ein selbstverständlicher Teil der Gesellschaft für mich. Doch bis heute konnte ich mir selber nicht beantworten mit welchem Recht ich dieses Geld bekommen habe.
Noch würde ich nicht so weit gehen zu sagen, dass man nicht mehr erben darf. Aber ich will, dass wir endlich eine hohe Erbschaftssteuer erheben. Keine kosmetische wie wir sie aktuell verlangen, sondern um die 50 Prozent. Ganz ehrlich auch mit der Hälfte meines Erbes wäre ich noch privilegiert. Das durch die Erbschaftssteuer eingenommene Geld sollten wir in eine Art Grundeinkommen für junge Menschen stecken. Die Erbschaftssteuer würde so an alle in einem gewissen Alter bedingungslos ausgezahlt werden. Die Gesellschaft würde in Gänze erben. Wir würden die derzeitige Explosion der Vermögensungleichheit wieder eindämmen. Es wäre ein radikaler Schritt aber ein Schritt der notwendig ist, wenn wir weiter eine gewisse Chancengerechtigkeit in der Gesellschaft behalten wollen, wenn wir die in der Verfassung festgeschriebene soziale Nation bleiben wollen.
Von mir aus können wir auch über andere Modelle reden. Wir können auch gerne weiter über Psychotherapie und Geschlechtskrankheiten reden. Aber lasst uns endlich auch über das Erben sprechen.
Dr. Sonja Jochem-Gawehn
Ja genau. Meine Eltern leben noch. Ich habe mir nach einem guten Abitur und selbstverdientem Taschengeld durch zahlreiche Neben- und Ferienjobs( weil meine Eltern der Meinung waren, dass ihnen ja auch keiner was geschenkt hat), FSJ, handwerklicher Lehre, Studium, Promotion, noch zweieinhalb Jahre praktisch umsonst im Krankenhaus gearbeitet- bevor das beknackte „Arzt im Praktikum“endlich abgeschafft wurde. Ich habe mich hochgearbeitet, Nachtdienste gemacht, zwei Kinder großgezogen, engagiere mich ehrenamtlich im Naturschutz und für Menschen, die es schlechter getroffen haben als ich. Meine bisher erworbenen Rentenansprüche sind ausreichend, aber nicht üppig.
Und wenn meine Eltern mal sterben, dann weiß ich jetzt schon mehr Möglichkeiten, das Geld sinnbringend zu investieren ohne ein schlechtes Gewissen haben zu müssen, als machbar sein werden. Ich brauche dazu nicht den Staat, der mich oder meine Eltern um das Erbe bringt. Vielleicht, Herr Haan, kann ich Sie mal beraten, was man damit Sinnvolles tun kann? Ärzte ohne Grenzen, Nabu und BUND gehen ganz gut mit den Spenden um. Man kann seine Immobilien auch einem SOS- Kinderdorf schenken oder die Eigentumswohnung an eine nette kurdische Familie vermieten. Ich kann Ihnen gerne eine vermitteln.
Sie können natürlich auch freiwillig für den Berliner Flughafen spenden, wenn Ihnen die durch Steuern finanzierten Ausgaben sympathischer sind.
Ich möchte das lieber nicht noch freiwillig tun. Das Einkommen meiner Eltern ist schon versteuert und irgendwie habe ich das Gefühl, es wäre nichts Schlechtes dabei, Ihr Haus zu erben.
Wenn es Jemandem mit seinem Erbe nicht gut, so wie Ihnen oder den bedauernswerten Nachkommen, die sich mit einem großen Vermögen rumplagen, die im Text genannt werden, darf er sich gerne an mich wenden. Ich habe viele Ideen, wie man da rauskommt!
Müller Judtih
Da kann ich Frau Jochen-Gawehn ohne jede Einschränkung und in allen Punkten nur voll zustimmen.
Vielleicht, lieber Herr Haan, lesen Sie zusätzlich die Kolumne von Harald Martenstein im Zeitmagazin Nr. 8 vom 13.02.2020.
Köstlich, wie dieser es immer wieder versteht, so manche abgehobene, besserwisserische ( und in Ihrem Falle zudem inkonsequente) Haltung zu entlarven
mfG
Kolb
Wirklich leistungslos ist eigentlich das durch Erbschaftssteuer umverteilte Vermögen an Institutioben oder Gruppen die keine Leistungen für diese Transfers erbracht haben.